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  • AutorenbildUrsula Wohlrab

CFS heißt nicht faul und ein bisschen müde sein...

Aktualisiert: 18. Sept. 2023

Der Begriff „Chronic Fatigue Syndrom“ oder wie es in Deutschland genannt wird, "Chronisches Erschöpfungssyndrom“ / "Chronisches Müdigkeitssyndrom“ lässt einen Außenstehenden schnell denken „müde und erschöpft bin ich auch immer, aber deshalb mache ich nicht so ein Theater. Mußt Dich halt mal ein bisschen zusammenreißen und anstrengen!“ Da mir diese Gedanken nicht fremd sind, kann und will ich keinem böse sein, der dies denkt. Leider entspricht es jedoch nicht der Realität eines CFS Erkrankten.


Jede Anstrengung, jedes Zusammenreißen und über die Grenzen gehen, führt zu einer Zustandsverschlechterung. Auch in diesem Punkt spreche ich aus eigener Erfahrung. Ich habe mich jahrelang immer wieder über meine Grenzen getrieben. Immer mit dem Gedanken „es muß doch irgendwann besser gehen!“. Es wurde jedoch nicht besser, sondern immer schlimmer. Mittlerweile ist es so schlecht, daß ich nun im Alter von nur 42 Jahren eine Pflegestufe beantragen muß. Ich hasse diesen Umstand und schäme mich dafür in Grund und Boden, doch es ist Fakt: Ich bin zu erschöpft zur Körperpflege, zum Abwickeln von Alltagsdingen, zum Leben.


Für die Beantragung der Pflegestufe mußte ich einen Bericht verfassen, der beschreibt, wie sich die Krankheit auf den Alltag auswirkt. Ich habe dafür Tage und die Unterstützung des Gatten, sowie von Fatigatio e.V. (Deutsche Patientenorganisation für Menschen, die an ME / CFS erkrankt sind) benötigt, doch nun ist er fertig. Nach einigem Zögern habe ich mich entschieden ihn auf meinem Blog zu veröffentlichen. Ich denke, er zeigt, daß CFS nichts mit faul sein und nur ein bisschen müde oder erschöpft tun hat. CFS ist eine ernstzunehmende Erkrankung, die leider noch recht unbekannt und wenig erforscht, aber vorhanden und für viele Menschen grauenvoller Alltag ist.


Hier nun der Bericht, aber Vorsicht, er ist lang, also wirklich lang und es fehlt ihm der bei mir sonst durchaus vorhandene ironische Abstand zu meiner Situation. Es ist ein fast schon medizinischer Tatsachenbericht, der vermutlich genauso anstrengend und unerfreulich zu lesen ist, wie er zu schreiben war. Das nur als Warnung vorab.


Auswirkungen der Erkrankung Chronic Fatigue Syndrom auf meinen Alltag und mein Leben.


Ich bin durch die Beeinträchtigungen, die das Chronic Fatigue Syndrom und meine psychischen Erkrankungen mit sich bringen, verzweifelt und fühle mich den Folgen hilflos ausgeliefert. Ein normales Leben und Miteinander ist nicht mehr möglich. Ich bin nicht mehr Teil des Lebens, es zieht an mir vorbei und ich kann nichts dagegen tun. Ich habe große Angst zu verschwinden und nur noch in einer dunklen Kammer dahin zu vegetieren.


Ich leide am Kopf und im Gesicht permanent unter verschiedenen Schmerzen. Wenn ich keine Migräne mit oder ohne Aura habe, habe ich dumpfe, pochende Schmerzen am Oberkopf oder in der Stirn. Zusätzlich habe ich, so gut wie jeden Tag, in der linken Kopfhälfte von der Stirn, über das Ohr bis hinunter in den Nacken stechende und bohrende Schmerzen, die in Intervallen auftreten. Meine linke Gesichtshälfte brennt und fühlt sich an, als ob Ameisen unter der Haut krabbeln.


Erschwerend kommt zu den Kopf- und Migräneschmerzen eine Hochsensitivität und die CFS-typische Überempfindlichkeit der Sinne. Dies bedeutet für mich, daß Geräusche, Gerüche, Farben oder Licht bereits in kleinen Mengen zu einer Überforderung mit Kopfschmerzen, Übelkeit und im schlimmsten Fall einem Nervenzusammenbruch führen können. Um dies zu verhindern, muß ich mich beiden kleinsten Anzeichen in einen abgedunkelten Raum mit Schallschutz-kopfhörern zurückziehen. Ich kann dann weder meinen Mann, noch unsere Haustiere um mich haben. Jede Berührung, selbst die von Kleidung oder einer Decke, führt zu starken Schmerzen. Eine Erholung kann Stunden oder Tage dauern. In diesen Phasen verschlimmern sich meine Depression und meine Angstattacken, da ich das Gefühl habe, nicht mehr zum Leben dazu zu gehören und alles, was mir wichtig ist, zu verlieren.


Jeden Morgen quält mich eine starke Morgensteifigkeit, die erst nach und nach etwas nachlässt. Die Handhabung von Gegenständen und Werkzeugen ist für mich mittlerweile ein großes Problem. Aus Kraftlosigkeit, mangelndem Gefühl in den Händen, Zittern, Gleichgewichtsproblemen oder Überempfindlichkeiten fallen mir Gegenstände aus der Hand, ich greife daneben, schmeiße sie um oder runter. Mein Mann muß dann den Schaden beseitigen, mich trösten, besänftigen, meine Verzweiflung und Wut ertragen und emotionslos die Situation erörtern, um Lösungen zu finden. Das Halten der Zahnbürste oder das Öffnen einer Flasche sind durch die Erschöpfung oder Schmerzen oft unmöglich. Oft habe ich Angst die Katzen auf den Arm zu nehmen und sie dann fallen zu lassen. Ich bin sehr verzweifelt, denn was nutzen mir gesunde Arme und Beine, wenn ich sie nicht benutzen kann.


Die Schwäche ist oft so groß, daß ich mich im Bett nicht umdrehen oder aufsetzen kann. Ich fühle mich dann jedes Mal hilflos und ausgeliefert und habe Angst was passiert, wenn Corona überstanden ist und mein Mann nicht mehr hauptsächlich im Homeoffice arbeitet. Sitzen geht oft nur für maximal eine Stunde, die meiste Zeit bin ich gezwungen, im Liegen zu verbringen. Ich kann die Hand kurzfristig über den Kopf heben, doch bereits nach wenigen Sekunden ist die Belastungsintoleranz bereits erreicht, was bedeutet, daß ich mir die Haare nicht frisieren oder die Zähne nicht putzen kann. Ebenso ist es mit dem Anziehen.


Das Thema Körperpflege ist ein extrem großes Problem, da sie mir häufig nicht mehr möglich ist. Ich fühle mich mit diesem Zustand sehr unwohl, ekle mich vor mir selber und ziehe mich von meinem Mann zurück. Ich möchte nicht, daß er mir zu nahekommt, aus Angst ich könnte riechen. Waschen, Zähneputzen und Anziehen schaffe ich nur noch selten und dann auch nur in kleinen Etappen, die sich bis in den Abend hineinziehen. Da ich sehr stark schwitze und mir beim Essen oft Dinge herunterfallen, fühle ich mich immer schmutzig und müsste meine Kleidung wechseln, was ich jedoch nicht schaffe. Das Auswählen von Kleidung und das Anziehen überfordert mich. Und ich benötige dabei Hilfe. Duschen, Baden, oder Haare waschen und föhnen ist ebenfalls nur noch mit der Hilfe meines Gatten möglich, was mir sehr unangenehm ist, da er mein Mann, aber nicht mein Pfleger sein sollte. Erschwerend kommt hinzu, daß häufig ein so starker Berührungsschmerz besteht, daß Haare kämmen nur unter Schmerzen möglich ist. Zusätzlich bin ich sehr hitzeempfindlich. Lauwarmes Wasser fühlt sich für mich heiß an und die Wärme des Föhns kann selbst auf der leichten Stufe ein Gefühl des Verbrennens erzeugen, was Pausen nötig macht.


Was die Situation zusätzlich extrem verschlimmert, ist meine Magen-Darm-Thematik. Ein starker Reflux (Rückfluss von Magensäure in die Speiseröhre) führt zu Reizungen im Mund- und Rachenraum. Ich leide an Histamin-, Laktose- und Fruktose- Unverträglichkeit, was eine frische und spezielle Kost erfordert. Ich selber kann mir nichts mehr zubereiten. Es fehlt mir die Kraft und die Konzentration. Es wurde immer gefährlicher, da ich mich in der Küche nicht mehr orientieren konnte, vergaß Dinge (z.B. Messer, gefährlich wegen der Katzen) wegzuräumen oder den Herd angeschaltet ließ. Ich habe mich mehrfach verbrannt und geschnitten. Mein Mann mußte oft eingreifen, um einen Schaden zu verhindern. Er versucht mich, so gut es geht, zu unterstützen, da er jedoch voll berufstätig ist, ist dies nur eingeschränkt möglich, sodaß meine Nahrung hauptsächlich aus Brot besteht. Ich habe viele Jahre unter einer Essstörung gelitten. Um nicht wieder in diese zurückzufallen, darf ich keine Mahlzeit auslassen und muß stark auf meine Ernährung achten. Dieses Wissen erhöht den Druck. Essen auf Rädern ist durch die vielen Unverträglichkeiten leider nicht möglich.


Selbst bei an die Erkrankung angepasster Ernährung habe ich häufig Magenschmerzen und täglich Darmprobleme. Ich leide abwechselnd unter starken Schmerzen im Bauchraum, Verstopfung und Durchfall, sowie Blähungen.

Der Durchfall kann so plötzlich und akut auftreten, daß ich es nicht mehr auf die Toilette schaffe und in die Hose mache. Dies ist für mich eine grauenvolle und sehr erniedrigende Situation. Ich fühle mich ausgeliefert, eklig und unzumutbar. Ich schäme mich und würde am liebsten von der Welt verschwinden. Die dann nötige Reinigung und der Wäschewechsel gehen oft über meine Kraft, sodaß ich danach Stunden bis Tage liegen muß. Das Einkoten ist mir sehr peinlich und ich habe große Angst, daß dies auch in der Öffentlichkeit passieren könnte. Die Stuhlthematik, die unzureichende Körperpflege und daß ich durch die Medikamente stark zugenommen habe und das Gewicht trotz bewusster Ernährung nicht reduziert bekomme, steigert meine Selbstwertprobleme erheblich, die Verlustängste, sowie die Angstattacken und Depression.


Die Durchfälle führen zusätzlich zu einer Schwächung des Immunsystems, was dazu führt, daß ich infektanfällig bin. Ich leide regelmäßig unter Schnupfen, Stirn- und Nebenhöhlenvereiterungen, Aphthen (Schädigungen der Mundschleimhaut) und Zahnfleischentzündungen, habe häufig Halsschmerzen und geschwollene Lymphknoten. Die ständigen Infekte verschlechtern das Allgemeinbefinden zusätzlich!


Sobald ich etwas falsches esse oder unter Anspannung leide, reagiert mein Körper mit starkem Juckreiz, der so lange dauert, bis ich mir die Haut blutig gekratzt habe. Salben und Kühlen helfen nur selten.


Im Bereich der HWS und LWS habe ich täglich Schmerzen, die in jeder Körperlage quälend und stark einschränkend sind. Oft kann ich nur mit Hilfe aufstehen und gehen. Darüber hinaus schmerzen Hüfte, Knie, Ellenbogen und Handgelenk einseitig oder beidseitig in unregelmäßigen Abständen. Ich habe Muskelkrämpfe, Muskelzuckungen und andere Unruhezustände wie Pulsieren, Kribbeln und Brennen in den Beinen, was das Gehen zusätzlich erschwert und selbst das Liegen zur Qual werden lässt, da es nichts gibt, das dagegen hilft.


Durch Gleichgewichtsprobleme und taube, einknickende Beine bin ich bereits mehrfach gestürzt. Da dies recht unerwartet auftreten kann und ich zusätzlich Probleme mit der Orientierung habe, ist mir ein Verlassen des Hauses nur noch in Begleitung möglich. Mein Mann muß den Transport erledigen, mich stützen, ggf. die Anmeldung am Arzt-Tresen übernehmen und Absprachen treffen. Da ich außer meinem berufstätigen Ehemann niemanden habe, der mir helfen könnte, ist das Verlassen der Wohnung auf notwendige Arztbesuche beschränkt, wozu er dann auch noch Urlaub nehmen muß.


Zuhause halte ich mich an der Wand oder den Möbeln fest oder krabble über den Boden, wenn das Laufen nicht möglich ist. Das obere Geschoss, welches durch eine schmale Wendeltreppe begehbar ist, ist für mich mittlerweile nur noch 1-2-mal pro Woche unter Aufsicht meines Mannes und mit Pausen erreichbar. Wenn ich es nach oben schaffe, kann es passieren, daß ich nicht mehr nach unten komme. Da es oben keine Toilette gibt und ich nie weiß, ob nicht ein Spontandurchfall kommt, traue ich mich oft selbst an den besten Tagen nicht hoch. Mein Leben findet seit über einem Jahr in zwei Zimmern statt.


Ich schlafe seit Jahren nicht mehr gut. Entweder schlafe ich mitten im Satz ein und erwache nachts nach zwei bis drei Stunden, ohne weiter schlafen zu können, oder ich wälze mich stundenlang im Bett, bevor ich in einen unruhigen Schlaf falle. Zappelnde Beine (Restless Leg Syndrom), juckende, brennende Haut, Gedankenkreisen und Grübeln erschweren das Einschlafen zusätzlich.


Tagsüber bin ich stark erschöpft und müde, kann aber wegen innerer Anspannung nicht schlafen. Durch die Gleichgewichtsprobleme und daß es mir beim Aufsetzen und Aufstehen für Minuten schwarz vor Augen wird, bin ich mehrfach aus dem Bett gefallen oder gegen Türrahmen gelaufen. Es kommt vor, daß es mir beim Laufen erneut schwarz vor den Augen wird und ich die Orientierung verliere. Auch hierbei bin ich oft auf die Hilfe meines Mannes und seine Geduld angewiesen.


Ich fühle mich im Kopf oft wie benebelt (Brainfog). Meine Merk- und Konzentrationsfähigkeit ist minimal. An allen Tagen kommt es oft vor, daß ich in ein anderes Zimmer gehe, als ich ursprünglich vorhatte. Dort weiß ich nicht mehr, was ich wollte und benötige längere Zeit, um mich zu erinnern. Das kostet zusätzliche Kraft, die mir bei anderen wichtigen Aktivitäten dann fehlt. Ich räume Dinge falsch ein und muß durch meinen Mann an die Einnahme von Tabletten, das regelmäßige Trinken und Termine erinnert werden. Wegen des unregelmäßigen Tagesrhythmus benötige ich längere Zeit, um mir über Tageszeit, Wochentag und Datum klar zu werden. Trotz Erinnerungshilfen vergesse oder verwechsele ich teilweise wichtige Termine. Auch diese Erinnerungshilfen zu benutzen, vergesse ich oft.


Meine Tabletten muß mir mein Mann vorbereiten, da ich oft nicht mehr weiß, ob ich die jeweilige Tablette bereits in die Dose gelegt habe oder nicht.


Im Zustand der totalen Schwäche fallen mir die Namen der Katzen nicht mehr ein. Bei Personen, mit denen ich nicht regelmäßig zu tun habe, muß ich nach dem Namen fragen oder nachsehen. Wenn ich mir Dinge notiere, weiß ich oft nicht mehr, wo die Notizen sind. Mein Mann muß mir Geschehnisse mehrfach erzählen, da ich mich nicht mehr erinnern kann, daß er es bereits erzählt hat.


Durch die Konzentrations- und Merkfähigkeitsstörungen, den Brainfog, die Erschöpfung, das von Eindrücken überfrachtet werden und abgelenkt durch Kreislaufprobleme oder Schmerzen sein, fällt es mir schwer einem Gespräch, daß länger als 10 Minuten dauert, zu folgen. Es fällt mir schwer das Gespräch zu verstehen, es ist, als ob das Gesagte bereits nach wenigen Minuten an mir vorbeirauscht. Ich höre dann die Worte nicht mehr, sondern nur noch ein Geräusch. Wenn mir dies bewusst wird, schäme ich mich und traue mich nicht, nachzufragen. Undeutliche oder zu leise Sprache verstärken das Problem zusätzlich. Es ist mir sehr peinlich, darum zu bitten, lauter oder deutlicher zu sprechen.


Nach einem Arzttermin weiß ich oft nicht mehr, um was es ging, oder was gesprochen wurde. Bereits im Gespräch beginne ich Dinge durcheinander zu werfen. Aus diesem Grund begleitet mich mein Mann zu jedem Termin. Durch die Reizüberflutung und die mangelnde Filterfähigkeit benötige ich nach wenigen Minuten eine Auszeit in reizarmer Umgebung zum Sortieren meiner Gedanken. Da dies oft durch die gegebenen Umstände nicht möglich ist, kommt es in der Folge zur Überforderung und dem bereits beschriebenen Zusammenbruch.


Meine Kommunikation ist extrem eingeschränkt, da man mich oft schlecht versteht. Dann presse ich die Worte mit aller Kraft heraus, was meine Stimme verändert und beim Gegenüber den Eindruck erweckt, ich sei wütend, was dann wiederum zu Kränkungen und Missverständnissen führt. Immer wieder habe ich Wortfindungsstörungen oder sage Begriffe, die nichts mit dem Thema zu tun haben und habe eine verwaschene Sprache. Ich leide sehr unter diesem Zustand, da ich immer gerne diskutiert und geredet habe.


Da eine Unterhaltung mit mir fast nicht mehr möglich ist, ist mein Kontakt zur Außenwelt stark eingeschränkt. Ein Telefonat geht nur mit größter Anstrengung und dann auch nur sehr kurz. Ein Gespräch mit mehreren Personen ist mir nicht möglich.


Persönliche Treffen finden, außer mit meinen Ärzten und meiner Therapeutin, nicht mehr statt. Den letzten Besuch habe ich vor über drei Jahren empfangen. Außer meinem Mann, den zwei Katzen und den Ärzten habe ich keine persönlichen Kontakte mehr. Selbst die Arztbesuche und auch die Therapie sind auf das Nötigste reduziert und nur mit größter Anstrengung möglich. Alles was über eine Dauer von 30 Minuten hinaus geht, führt zu einer Abspaltung, welcher dann ein Zusammenbruch folgt. Dieser äußert sich in Schmerzattacken, einem Nervenzusammenbruch und tagelang nicht Aufstehen können, was dann wieder zu einer Verschlimmerung der Depression führt. Eine Körperpflege ist an diesen Tagen gar nicht möglich und es kann vorkommen, daß ich zur Toilette krabbeln muß, da meine Beine unter mir nachgeben.


Durch die Augenprobleme (Unschärfe, Flimmern, Nebel, Schwarz vor Augen) die temporär, auch unabhängig von einer Migräneattacke, auftreten und nicht durch eine Sehhilfe auszugleichen sind, bin ich selbst an den wenigen guten Tagen im täglichen Leben stark eingeschränkt. Meine Augen sind oft stark gerötet, gereizt, brennen und jucken. Medikamente für trockene Augen helfen nur kurz. Die ständig vorhandene Müdigkeit wird durch das Brennen der Augen verstärkt. Meine Kommunikation ist durch die Augenbeschwerden zusätzlich stark beeinträchtigt, da ich weder Handy noch Computer benutzen kann.


Damit ich nicht vollkommen von der Welt abgeschnitten bin, hat mir mein Mann ein Sprech-Schreib-Programm auf dem Handy und PC installiert, damit ich wenigstens im Notfall Hilfe holen kann. All diese Beeinträchtigungen haben mich in eine Situation gebracht, in der ich wichtige administrative bürokratische Dinge nicht mehr ohne Hilfe bewältigen kann. Überweisungen, Kommunikation mit der Krankenkasse, Ärzten oder Ämtern muß mein Ehemann für mich erledigen.


Täglich habe ich Probleme mit der Atmung. Ich habe Schnappatmung, bin kurzatmig, habe das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen, was mich in Panik geraten lässt. Dies äußert sich besonders, wenn ich unter körperlicher oder psychischer Anspannung leide, kann aber auch völlig unerwartet auftreten. Da dies mehrmals in der Nacht passiert ist, habe ich zusätzlich zu den Schlafproblemen auch noch Angst vor dem Ersticken in der Nacht.


Mein seit Jahren vorhandener Tinnitus wird immer lauter und in unregelmäßigen Abständen von Hörstürzen begleitet.


Trotz der extremen körperlichen Erschöpfung bin ich innerlich extrem angespannt und habe das Gefühl zu zerspringen. In diesen Phasen kratze ich mir oft, ohne es zu merken die Haut an Kopf, Armen oder Beinen auf, bis sie blutet. Erst wenn ich das spüre, fällt mir auf, was ich getan habe.


Obwohl ich mich im Laufe der Jahre an die Schmerzen gewöhnt habe, ist die Menge und Unplanbarkeit der Symptome und der damit verbundenen Schmerzen und Einschränkungen für mich psychisch sehr belastend. Ich habe Angst, zu sterben und meine Familie zu verlieren. Meine leibliche Familie und meine Freunde haben sich, bis auf zwei Freundinnen, abgewendet und zurückgezogen, da sie mit meiner Situation nicht klarkommen. Ich leide unter der Vereinsamung und bin auf meinen Ehemann sehr eifersüchtig. Er lebt mir allein durch seine Anwesenheit vor, was ich alles nicht mehr kann. Reden, schreiben, das Haus verlassen, Essen ohne Schmerzen, sich frei bewegen, Auto fahren, Hobbies nachgehen, Kontakte pflegen, arbeiten gehen und besonders den Alltag ohne Hilfe bewältigen. Dies führt immer wieder zu Spannungen und verstärkt meine Angst und die chronische Depression. An manchen Tagen ist die Verzweiflung über die Situation so schlimm, daß ich nicht mehr weiß, wie ich weiter machen soll.


Tage, an denen ich gezwungen bin, im Bett zu bleiben, empfinde ich als verlorene Tage, da ich an Ihnen nichts tun kann, außer die Decke anzustarren. Es ist mir nicht möglich, körperliche Nähe zu ertragen. Selbst die Anwesenheit im gleichen Raum, oft sogar in der Wohnung ist zu viel. Ich kann keine Unterhaltung führen, nicht mit meinen Katzen zu spielen, nicht lesen, Musik hören oder Fernsehen. Alles ist zu viel, zu schmerzhaft und zu belastend. Da ich nie weiß, wie lange dieser Zustand dauert, habe ich an diesen Tagen besonders mit meinen Angstattacken und depressiven dunklen Gedanken zu kämpfen.


Durch die Erschöpfung bin ich nicht mehr in der Lage, die Wohnung zu reinigen, oder Dinge aus dem Weg zu räumen. Dies führt dazu, daß ich stolpere, Gegenstände umwerfe und mich in der Wohnung sehr unwohl fühle. Die Unordnung und der „Schmutz“ belasten und ekeln mich.


Einkaufen, Gänge zur Post oder der Besuch von sonstigen öffentlichen Orten ist mir schon seit langem nicht mehr möglich. Reizüberflutung, mangelnde Konzentrations- und Merkfähigkeit, Desorientierung, Brainfog, Kreislaufprobleme, Schmerzen und die Erschöpfung zwingen mich dazu, alles was ich benötige, von meinem Mann erledigen zu lassen. Beim Einkaufen muß er dann auch noch zusätzlich bei allen Nahrungs-, Pflege- und Reinigungsmitteln auf die Verträglichkeit achten. Sie dürfen neben den zu beachtenden Unverträglichkeiten keine Zusatzstoffe und Duftstoffe enthalten. Da aber auch so nicht alle schädlichen Substanzen eliminiert werden können, muß im Anschluss der Benutzung von Putz-/Reinigungsmitteln, Deos, Parfüm usw. sehr lange gelüftet werden, bevor ich ohne Zustandsverschlechterung die betroffenen Räume betreten kann. Dies alles verstärkt mein Gefühl der Abhängigkeit, Wertlosigkeit und die Scham.


Oft kann ich nicht mitteilen, wie es mir geht, daß ich Hunger, Durst oder Schmerzen habe, da ich zu schwach zum Kommunizieren bin. In dieser Phase bin ich wie betäubt und benötige Stunden, bis ich mich dazu zwingen kann, mich zu bewegen, um auf Toilette zu gehen oder etwas zu trinken.


Die Ansprache von, oder Aufforderungen durch meinen Mann verstehe ich oft nicht oder verstehe sie als Angriff. Es folgt dann der Rückzug in mich oder wenn möglich in ein anderes Zimmer, die Überforderung, schweigendes Aushalten der Situation, zunehmende Wortfindungsstörungen bei dem Versuch mich zu erklären, zunehmendes nicht Verstehen von Gesprächsinhalten, das mehrmalige Stellen von gleichen Fragen, sowie eine rapid sinkende Merkfähigkeit.


Obwohl ich weiß, daß ich mich schädige und wie die Konsequenz dann aussieht, will ich viele Dinge erzwingen. Dies geschieht aus der Angst vor dem Kontrollverlust und Abhängigkeit, Wut über die eigene Schwäche und um meine "Nützlichkeit" zu beweisen.


Wenn ich trotz der Belastungsintoleranz überfordernde Dinge tue, erfolgt eine weitere Verschlechterung der gesamten Erkrankung und eine Verstärkung der weiteren selbstschädigenden Verhaltensweisen, wie z.B. Essattacken, Haut aufkratzen, Streit anfangen und im schlimmsten Fall der Drang zu ritzen.


Eine Bagatellisierung der Erkrankung oder ihrer Folgen lösen in mir das Gefühl aus, nicht ernst genommen zu werden. Ich werde sehr schnell ungeduldig, wenn ein Anliegen nicht verstanden wird oder Dinge getan werden, Situationen entstehen, die für mich schwierig sind und schon häufig erklärt wurden. Aus Frust über mich selbst und die Situation, die Abhängigkeit von anderen, die Verzweiflung und die Hilflosigkeit ist es vorgekommen, daß in Wut geraten bin und Gegenstände durch die Wohnung geworfen habe. Dem folgten dann ein völliger Nervenzusammenbruch und so große Scham und Schuld, daß ich mich stundenlang in einem Zimmer eingeschlossen habe und nicht mehr raus wollte, aus Angst, ich könnte ein "Monster" sein, das andere mutwillig verletzt. Ein wahrhaftiger Teufelskreis, ohne wirkliche Ausfahrt.


Wenn ich mich in einer solchen Situation befinde und es nicht schaffe sie aufzuhalten, verfalle ich in Verhaltenswesen, die mich zusätzlich Kraft kosten. Ich schimpfe und fluche vor mich hin, weine vor Panik, erzwinge noch mehr und gehe noch weiter über meine Grenzen, statt aufzuhören bzw. gar aufzugeben.


Die Angst vor dem vollkommenen Verlust meiner Handlungsfähigkeit und Selbstbestimmung verhinderten, daß ich bisher Hilfe von außen annehmen konnte. Auch jetzt fällt es mir extrem schwer, da ich mein Leben lang unabhängig war. Ich sehe jedoch ein, daß durch die gegebenen Umstände dringend sowohl im Bereich der Pflege, als auch den anderen Bereichen Unterstützung benötige.


Diesen Bericht habe ich in kleinen Etappen über mehrere Tage und mit der Hilfe meines Mannes und einem Sprech-Schreib-Programm erstellt. Ich weiß nicht, was ich ohne ihn tun würde. Ich habe Angst, vor der Zukunft, vor der weiteren Verschlechterung meines Zustandes, davor, keine Hilfe mehr zu erhalten. Was ist, wenn mein Mann erkrankt, ihm etwas passiert oder er einfach die Nase voll hat?

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