Ursula Wohlrab
Ende einer Odyssee und doch der Beginn einer Reise - endlich eine Diagnose
Aktualisiert: 18. Sept.
„Frau Wohlrab, sie sind schwer krank, ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll...“ Mit diesen Worten blickt mein Arzt von seinem mit Befunden beladenen Tisch zu mir auf. Hitze durchflutet meinen Körper, meine Gedanken rasen und Tränen steigen mir in die Augen. Anders als man erwarten sollte, sind es keine Tränen der Angst, sondern der Erleichterung.
Jahrelang war ich durch die Aussagen von Ärzten und deren Negativbefunde der Überzeugung, ich würde mir meine „Befindlichkeiten“ einbilden. Ich war sicher, ein „Vollpsycho“ zu sein, der faul ist, manipuliert und Krankheiten nutzt, um Aufmerksamkeit zu erhalten oder den Partner an sich zu binden.
Abwegig war dies nicht. Ich hatte in meinem Leben einige traumatische Situationen erlebt und war mir über die daraus resultierenden psychischen Themen durchaus bewusst, doch es schockierte mich, dass ich ein manipulatives Miststück sein sollte. Das war genau das, was ich nie sein wollte und auf dessen Vermeidung ich immer geachtet hatte, aber anscheinend hatte ich vollkommen versagt.
Jahrelange Therapie mit zwei einfühlsamen aber nicht zu weichen Therapeutinnen brachte mich psychisch und emotional voran, änderte jedoch nichts an der Körpersymptomatik. Im Gegenteil: Je mehr ich mich anstrengte, zusammenriss und Maßnahmen zur Besserung ergriff, umso schlimmer wurde der körperliche und geistige Zustand.
Grippesymptome, Halsschmerzen, geschwollenen Lymphknoten, Kurzatmigkeit, Schlafstörungen, extreme Kopfschmerzen, Muskel- und Gliederschmerzen, Magen-Darm-Beschwerden, Unverträglichkeiten die so weit gingen, dass ich schon gar nicht mehr wusste, was ich noch essen kann, Herz-Kreislauf-Beschwerden und kognitive Einschränkungen waren an der Tagesordnung.
Ich wurde immer verzweifelter, verbissener und gereizter. Ich hatte das Gefühl mein Körper würde mich im Stich lassen und ich sei eine Zumutung, weil ich mich nicht besser in den Griff bekam.
Jeder Arztbesuch, zu dem ich mich aufraffte um vielleicht doch eine Erklärung und Linderung zu erhalten, endete ohne neue Erkenntnisse in einer schweren depressiven Phase.
Arbeiten gehen war seit über einem Jahr nicht mehr möglich, Freunde zogen sich zurück und die Situation zuhause spitzte sich zu. 2019 wurde es so schlimm, dass ich 6 Monate in eine Klinik für Psychiatrie ging. Dort verordnete man mir sehr viel Ruhe und stabilisierte meinen psychischen Zustand.
In dieser Zeit wurde mir eine Erwerbsminderungsrente für die nächsten zwei Jahre bewilligt. Bewilligt ist eigentlich nicht das richtige Wort, denn wir mussten dazu - zusammen mit dem VDK - vor dem Sozialgericht klagen, doch es hatte geklappt. Für zwei Jahre musste ich mir zumindest um die Existenz keine Sorgen machen.
Tatsächlich ging es mir bei Entlassung besser. Zuhause begann ich, all die vor dem Klinikaufenthalt liegen gebliebenen Dinge abzuarbeiten. Ich verbrachte die Zeit mit meinem Gatten und den Katzen, räumte unsere neu bezogene Wohnung ein, malte und genoss den schmerzlich vermissten Zustand der Aktivität.
Nach kurzer Zeit spürte ich, dass in mir etwas zu kippen begann. Ich war ständig müde und überfordert. Häufig konnte ich Gesprächen nicht folgen oder verstand deren Inhalt nicht. Immer öfter erzwang ich Tätigkeiten und saß, wenn es keiner mitbekam, heulend in der Ecke. Meine bereits bearbeiteten Angstthemen kamen zurück und das Leben überforderte mich auf einmal noch stärker als vor dem Klinikaufenthalt. Ich konnte und wollte es mir nicht eingestehen und machte unverändert weiter. Mein der Überforderung und Erschöpfung geschuldetes unmögliches Verhalten führte immer öfter zu Situationen, in denen mein Mann und ich in Streit gerieten. Wir führten stundenlange Diskussionen, in denen ich ihm gegenüber gemein und ungerecht war. Dies geschah zum einen, weil ich mich nicht erklären konnte und unverstanden fühlte und weil zum anderen meine kognitiven Fähigkeiten immer mehr abnahmen. Häufig sagte ich andere Dinge, als ich meinte und fand die richtigen Worte oder Formulierungen nicht. Da mir dies nicht bewusst war, kam es zu größten Missverständnissen. Hinzu kam, dass mich diese Gespräche extrem anstrengten und ich zum Sprechen all meine Kraft brauchte. Ich presste die Worte aus mir heraus, was meine Stimme veränderte und bei meinem Mann wie wüstes Beschimpfen und Gekeife ankam. Was die Situation zusätzlich erschwerte, war die Tatsache dass mein Mann sachlich und logisch ist, während ich emotional bin. Logisch sein kann ich durchaus auch, aber leider nicht, wenn meine Emotionen hochkochen. Glücklicherweise schafften wir es immer wieder, uns zusammenzuraufen, doch es zermürbte uns zusehends.
Da ich nach wie vor der Überzeugung war, ich müsse mich nur mehr anstrengen, quetsche ich meinen Körper unerbittlich aus. Selbsthass und Wertlosigkeitsgefühl waren mein gnadenloser Antreiber.
Ich erwachte morgens mit rasenden Kopfschmerzen, war an manchen Tagen erst nach Stunden ansprechbar und immer öfter kaum mehr in der Lage aufzustehen. Es war grauenvoll, doch ich sah keine andere Lösung, als wie bisher weiter zu machen. Zusammenreißen, Augen zu und durch.
Eines Tages begegnete meinem Mann ein Artikel zum Thema CFS/ME, er berichtete davon, da er meine Thematik darin wiederfinden konnte, war sich jedoch sicher, dass dies bei mir bereits abgeklärt worden sei. Dem war jedoch nicht so.
Ich fiel aus allen Wolken, als ich mich mit dem Thema zu beschäftigen begann. All meine Symptome waren darin beschrieben und die Erschöpfung nach Anstrengung wurde als eines der größten Merkmale der Erkrankung genannt.
Wir begannen ausführlich zu recherchieren, sprachen mit unserem Hausarzt und ich mit meiner Therapeutin. Alle stimmten zu: Diese Erkrankung konnte eine Erklärung sein.
Nun begann die ermüdende Suche nach einem Arzt der die Diagnosestellung übernehmen konnte. Da CFS in Deutschland nicht wirklich bekannt ist, stellte uns dies vor eine große Herausforderung. Stundenlanges Suchen und zwei Fehlschläge später - wobei mich jeder der Termine zu mehreren Tagen Bettruhe zwang - wurden wir fündig. In direkter Nähe gab es einen Immunologen der sich mit dem Thema CFS befasste. Wir bekamen einen Termin und nach einem ausführlichen Erstgespräch, bei dem ich nicht wie sonst üblich mit der Aussage „Das ist psychisch!“ abgefertigt wurde, begannen die Untersuchungen. Ich wurde von Kopf bis Fuß durchleuchtet und untersucht. Vor jedem Besprechungstermin hatte ich die Hosen voll, da ich immer wieder damit rechnete, er könnte nun doch noch mit der Diagnose „Psyche“ aufwarten. Vor unserem letzten Termin war meine Angst besonders schlimm. Tage vorher ging ich im Kopf mögliche Szenarien und Gespräche durch. Ich wurde immer angespannter und mein Zustand verschlechterte sich rapide. Als wir dann endlich zu dem Termin fuhren, war ich der festen Überzeugung als Simulant aus der Praxis zu fliegen. dass es dazu nicht kam, ist ja bereits aus dem Beginn des Textes zu erkennen…
Nun habe ich Belege dafür, dass ich wirklich krank bin. Es gibt einen Gendefekt, einen kaputten Darm der Auswirkungen auf das Immunsystem und den Nährstoffhaushalt hat. Ich hatte oder habe den Epstein-Barr-Virus, dies wird gerade noch geklärt, es liegen etliche Unverträglichkeiten vor und mein Blut ist auch nicht ok. Ein Cortisolmangel und die daraus folgende Unterproduktion von Melatonin erklären die Schlafprobleme und alles in allem haben diese Erkrankungen das Chronische Erschöpfungssyndrom, kurz CFS/ME zur Folge.
Da ist sie, die Diagnose, die ich so sehr herbeigesehnt habe. Ich bin unbeschreiblich erleichtert und gleichzeitig schreit alles in mir, dass dies nicht richtig sein kann, denn die Diagnose CFS hat eine schwerwiegende Folge: Ich muss den Zustand des Nichtkönnens und abhängig bzw. hilfsbedürftig sein akzeptieren. Jegliche Überforderung, körperlich oder psychisch, hat eine Verschlechterung zur Folge. Ich habe keine Ahnung wie ich das hinbekommen soll. Akzeptanz und Geduld sind meine größten Stärken, ich besitze sie im Überfluss, nämlich gar nicht.
Leider neige ich dazu, wenn es um mich geht, Dinge herunterzuspielen und nicht ernst zu nehmen oder auch gar nicht zu sehen. Dieses Verhalten führt immer und immer wieder zu Eskalationen, welche sich in einem Zusammenbruch oder provoziertem Streit zeigen können. Nach einem dieser Momente ist - wie schon vor einigen Jahren auch - in einer sehr schlimmen depressiven Phase, ein Bild entstanden. Als mir dies bewusst wurde, habe ich begonnen, wann immer es mir möglich war, die Malerei als Kanal für meine heftigen Emotionen zu nutzen. Das war der Start für die Bilderreihe mit dem Namen „Momentaufnahme“.
Eines Morgens, als ich mal wieder nicht aufstehen konnte, hatte ich zu einer der Situationen einen Text in meinem Kopf. Er ging über den ganzen Tag nicht mehr weg und der Druck ihn auf Papier zu bannen wurde immer größer. Ich schrieb wie im Wahn, der Stift raste über das Blatt und ich vergaß alles um mich herum. Schweißgebadet und zitternd vor Anstrengung las ich meinem Mann das Ergebnis vor. Ich hatte die Hoffnung ihm so mein inneres Chaos besser erklären zu können. Das , was in mir vorgeht, konnte ich bislang nie richtig in Worte fassen und wenn es klappte, hinkten die Erklärungen maßlos der Realität hinterher. Seine Reaktion kam für mich völlig unerwartet: Er war betroffen, gerührt, voller Liebe und auch voller Begeisterung. Das, was für mich aus dem Bauch entstandenes Geschreibsel war, war für ihn großartig. Im Laufe der folgenden Tage entstanden nach und nach weitere Texte. Bei jedem einzelnen hatte ich Angst ausgelacht zu werden, doch dies passierte nie. Der Gatte bestärkte mich zu schreiben und drängte, die Texte in die Welt zu geben.
Nach langem Zögern habe ich mich nun dazu entschieden dies in einem Blog zu tun. Wie viel und wie oft ich schreiben kann, kann ich nicht vorhersagen, doch ich merke wie sehr mir die Texte helfen, zu erkennen, wie mein Alltag wirklich ist. Vielleicht helfen diese Zeilen irgendjemandem da draußen, der in einer ähnlichen Situation ist oder mit einem Menschen mit der Diagnose CFS zu tun hat, die Dinge besser zu verstehen. Ich werde soweit es mir möglich ist, meinen Weg weiter ehrlich dokumentieren…