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  • AutorenbildUrsula Wohlrab

Kakophonie und Körperkrempel

Aktualisiert: 18. Sept. 2023

Die Heizung tickt und rauscht. Der Kühlschrank surrt und der Wasserhahn tropft. Eine Waschmaschine im Keller, zwei Stockwerke unter mir, startet ihr Schleuderprogramm. Der Kater putzt sich ausgiebig im Takt der Musik die aus Nachbars Haus zu mir dringt. Es ist früh am Morgen und unser Ort ist offensichtlich wach. Auf dem naheliegenden Hof eines Bauern läuft ein Generator. Ein anderer Nachbar sägt und unsere Postdame fährt mit ihrem E-Auto leise surrend vor. Auch die restlichen Bewohner in unserem Haus sind aktiv. Ich höre ihre Stimmen, das Klappern von Geschirr, einen Staubsauger und das Rauschen eine Dusche. Das Haus ist sehr gut gedämmt, doch das hindert meine Ohren nicht an der Geräuschaufnahme. Mein Tinnitus singt und brummt fleißig vor sich hin. Ebenso fleißig springt die NAS-Festplatte im Gang mit Sicherungskopien an und verkündet mit lautem Surren und Vibrieren, dass sie brav ihre Arbeit erledigt. Alles Dinge, die ein gesunder Mensch, wenn überhaupt, nur unter höchster Konzentration wahrnimmt. Alles Dinge, die mich zusätzlich zu den normalen Geräuschen des Lebens permanent begleiten. Eine Kakophonie, der ich nicht entkommen kann. Selbst wenn ich Lärmschutzkopfhörer trage, ist es nie still, denn dann höre ich zusätzlich auch noch das Rauschen meines Blutes, meinen Herzschlag und sonstige in mir vorhandenen Geräusche.Wären es nur die Geräusche, käme ich vielleicht damit klar. Doch an Tagen wie diesen sind meist auch die anderen Sinne im Hochleistungsmodus. Mein Riechkolben vermeldet die erfolgreiche Erschnüfflung des im Keller benutzten Waschmittels der Nachbarn. Das Parfums meines Gatten, der sich ein Stockwerk über mir befindet, erreicht ebenfalls sein Ziel und der Abfluss im Bad möchte auch nicht überrochen werden. Ach und übrigens hätten wir da noch das Katzenklo mit frischem Pipi sowie Nachbars Toast der gerade anbrennt... Als ob das nicht ausreicht sind auch noch meine Augen extremst lichtempfindlich. Selbst wenn ich sie schließe, ist das Tageslicht gleißend und grell. In solchen Momenten blendet mich sogar das Licht des An-/Ausschalters der Steckdose, wenn das Zimmer abgedunkelt ist. Handy und/oder Computer mit Ihrem leuchtenden Bildschirm erzeugen sofortige Übelkeit und ein Buch mit seinem schwarzweißen Kontrast der Buchstaben ebenso. Während ich versuche, die Eindrücke auszublenden, beginnt der Dachfirst über mir zu knarzen. Die Kälte von draußen und die Wärme von drinnen streiten sich. Eigentlich ein schönes Geräusch, doch für mich klingt es wie Stepptänzer, die über meinem Kopf für einen Auftritt üben. Die innere Anspannung steigt immer weiter an und mit ihr werden meine Sinne noch empfindlicher.


Nun nehme ich auch noch das Wasserplätschern des Katzenbrunnen, das Zischen des Thermoskannendeckels und das Pfeifen eines vollgeladenen Akkus in der Ladestation wahr. Wohlgemerkt, alles Geräusche aus anderen Zimmern. Als der Gatte dann auch noch in seinem Arbeitszimmer schwungvoll die Jalousie hochzieht und mit seiner Videokonferenz beginnt, habe ich das Gefühl ein Düsenjet startet in meinem Kopf, während eine Metalband ihr bestes Konzert gibt. Der Overload mit dem folgenden Zusammenbruch steht kurz bevor. Ich weiß nicht, ob ich es schaffe, ihn aufzuhalten. Die einzige Möglichkeit ist sofortiger Rückzug und Aussperren der Welt. Tränen der Verzweiflung steigen mir in die Augen. Wenn ich es nicht einmal in meinem geschützten Umfeld aushalte, brauche ich an ein normales Leben mit all seinen Eindrücken keinen Gedanken verschwenden. Was ich aber natürlich tue. Ich denke an mein Leben, wie es einmal war. Telefonieren, Besuch empfangen, Freunde besuchen, rausgehen, kommunizieren, einfach leben. All das war natürlich und selbstverständlich. War, ganz genau. Es ist Vergangenheit. Was jetzt zählt, ist die Gegenwart. Darauf konzentrieren, die Situation zu entschärfen und ohne Eskalation durch den Tag zu kommen. Die Heizung tickt wie der Zünder einer Bombe, also genau so, wie ich mich fühle. Nicht einmal mein Kaffee schmeckt. Statt der versprochenen vollmundigen Aromen ist er bitter, leicht verbrannt und die Hafermilch, die normalerweise nicht zu schmecken ist, extrem präsent. Schaudernd stelle ich ihn zur Seite. Meine Gesichtshaut brennt, der Magen rebelliert, die Nerven fangen an, meine Glieder unkontrolliert zucken zu lassen und mein Kopf steht kurz vor einer Implosion. Ich flüchte ins dunkle Schlafzimmer. Ohropax rein, Kopfhörer sowie Augenbrille auf und abtauchen in Dunkelheit, relative Stille und Einsamkeit. Dumm nur, dass die Kleidung auf der Haut reibt, die Haare schmerzvoll an der Kopfhaut ziehen und die Bettdecke mich erdrückt...


Herzlich Willkommen im Overload der Sinne

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