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  • AutorenbildUrsula Wohlrab

Das Papierschiff löst sich auf und verschwindet

Aktualisiert: 18. Sept. 2023

Lange Zeit war es ruhig an dieser Front, da ich nichts zu schreiben hatte, bzw. nicht konnte. Denn ich habe versucht die Krankheit und das Leben auszutricksen. Gleich einem kleinen Kind, das sich die Augen zuhält und denkt, so wird es nicht gesehen, habe ich so getan als ob es in meinem Leben keine schwere Erkrankung gibt. "Wenn ich die Krankheit nicht akzeptiere, ist sie auch nicht da!" Die trotzdem vorhandenen Symptome habe ich durch mehr Anstrengen, Ignorieren, Fressanfälle und Medikamente versucht aus der Welt zu schaffen. Das dies schädigender Selbstbetrug ist, weiß mein Verstand, doch wenn ich die Krankheit akzeptiere, muss ich auch die Konsequenzen akzeptieren und das schafft mein Herz nicht. Ich habe Angst davor, weil diese Konsequenzen so umfassend und schmerzhaft sind.

Hier ein Beispiel: Im Winter ist das nicht rausgehen können einigermaßen erträglich, doch sobald der Frühling aufzieht, ändert sich das. Ich will raus, Fotografieren, Skizzieren, einen Kaffee trinken, eine Runde Auto, Motorrad oder Rad fahren, Blumen für den Balkon kaufen, Freunde treffen, die Natur genießen, Joggen gehen, einfach leben. Ich möchte all das tun, was Menschen ganz selbstverständlich tun, doch nichts davon ist möglich. Ich sehe das Leben vor dem Fenster vorüberziehen, sehe die freudigen Posts auf Facebook & Co. und bekomme von meinem Mann erzählt, was er erlebt hat, doch ich bin nicht Teil davon. All das wird zur Folter, führt zu schweren Depressionen und großer Eifersucht. Diese will ich natürlich nicht haben, kämpfe dagegen an, schäme und beschimpfe mich dafür und schon geht es mir körperlich und psychisch noch schlechter, wofür ich mich dann auch wieder schäme und beschimpfe und und und... Bis auf ein paar wundervolle Menschen und unsere zwei Plüschpoppies ist aus meinem früheren Leben nur noch die Kunst geblieben. Sie ist gefühlt mein letzter Kontakt zur Außenwelt und sorgt dafür, dass ich nicht völlig verschwinde. Jedes mal, wenn es mir ein kleines bisschen besser geht, beginne ich zu träumen und zu planen, was ich in der Kunst alles machen will. Ich versuche Lösungen und Wege zu finden, meine Wünsche zu verwirklichen und blühe auf. Das geht dann ein paar Tage oder auch nur ein paar Stunden gut, bis der nächste Crash kommt, da ich mich in diesem Hoch der Gefühle wieder vollständig überfordert habe. Und mit jedem neuen Crash falle ich tiefer als zuvor, bleibe länger liegen und komme immer schwerer hoch. Schon länger weiß mein Verstand, dass ich Malaufträge nur mit größter Überforderung und einem sehr hohen körperlichen Preis bewältigt bekomme. Trotzdem nehme ich sie immer wieder an. Ich möchte nicht nur für mich malen und dass meine Kunst im Keller verstaubt. Sie soll leben und Freude machen oder zum Nachdenken anregen. Um das zu erreichen, muß ich aktiv sein. Also habe ich die Leistungen erzwungen und es bislang immer geschafft etwas Schönes zu liefern. Doch bei meinem letzten Auftrag ging es nicht mehr. Bereits nach kurzer Zeit hatte ich zwei schwere Crashs und konnte nicht einmal etwas Vorzeigbares erschaffen. Ich war am Boden zerstört, wütend und sehr verzweifelt. Ich will das nicht aufgeben, es ist doch das letzte bisschen, dass von mir noch übrig ist, doch ich darf mich nicht länger blind stellen. Es geht nicht mehr, ich kann und darf keine Aufträge mehr annehmen, sonst kann ich bald gar nicht mehr malen (wozu eigentlich noch?) und schaffe es auch nicht mal mehr ans Fenster (na und, tut doch eh nur weh!)...

Mein letzter Strohhalm, den ich so krampfhaft festgehalten habe, ist durch den Druck in meiner Hand zerbröselt und nicht mehr vorhanden. Ich weiß, ich sehe gerade allumfassend schwarz und es kann wieder besser werden, aber gerade komme ich mir vor wie ein Papierschiff auf hoher See, das sich immer mehr aufgelöst hat und nun endgültig verschwindet...



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