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  • AutorenbildUrsula Wohlrab

Selbstwert verzweifelt gesucht

Aktualisiert: 18. Sept. 2023

Schüchternes Mädchen, perfekte Hausfrau, anmutige Tänzerin, vorzeigbare Gattin, eloquente Karrierefrau, kreative Alleskönnerin, Motorradfahrerin auf der Rennstrecke, draufgängerische Sportwagenbezwingerin, unerschütterlicher Katastrophendienst, Krankenpflegerin, Beraterin und Reisende. All das war ich in den letzten Jahren.


Selbstwert durch Leistung und das perfekte Ausfüllen von Rollen, die der Außenwelt gefallen, war mein Lebensinhalt. Dass jeder Mensch per se einen Wert hat, einfach nur weil er existiert, war für mich eine nette Theorie, die jedoch nicht auf mich anzuwenden war/ist.


Jede Version meiner selbst wurde durch unerbittliches Training, Ausbildungen, Schulungen oder Fachliteratur fundiert geschaffen. Stets vorhandene Ängste, aufzufliegen wurden durch Techniken bezwungen oder zumindest in einen nicht einsehbaren Käfig gesperrt. Die Außenwelt bekam nur das zu sehen, was ich anhand ihres Anforderungskataloges erschaffen hatte.


Recht schnell begann mein Körper gegen diese Rüstung zu rebellieren. Ich hatte Schmerzattacken, die ich dank Schmerzmitteln oder Abspaltungen zum Schweigen brachte. Es funktionierte - zumindest nach außen - wunderbar. Ich wurde stets nach einiger Zeit auch vor mir selbst zur jeweiligen Rolle. Ich war überall gerne gesehen, wurde gemocht, war erfolgreich und solange ich mich mit Arbeit oder Aufgaben zuschüttete, zufrieden und glücklich - dachte ich!

Im Nachhinein muss ich leider zugeben, dass ich mich in Selbsttäuschung erging und Raubbau an meinem Körper und meiner Seele betrieb. In ruhigen Minuten habe ich dies durchaus gespürt, doch es war so viel einfacher das kleine Zucken zu ignorieren. Das kann ein Leben lang gut gehen, oder halt auch nicht.

In meinem Fall sagte der Körper irgendwann: Jetzt ist es genug, ich habe die Nase voll und trete ab sofort in Streik! Immunsystem und Psyche ließen sich immer neue Strategien zur Lahmlegung der Frau einfallen und das so sorgfältig gebaute Kartenhaus stürzte relativ schnell ein.


Da ich gegen meinen Körper - egal was ich versuchte - nicht ankam, begann ich mich gnadenlos und unbarmherzig zu zerfleischen. Einen Selbstwert gab es nicht mehr, da ich nichts leisten konnte und mich, bzw. meinen Körper nicht in den Griff bekam. Nicht einmal Selbstachtung war vorhanden, dafür jedoch eine große Portion Selbsthass.


Dieses kranke Verhalten sowie traumatische Erlebnisse, wie zum Beispiel der plötzliche Tod meines Lebenspartners, ließen eine psychische Diagnose, die auch die körperlichen Symptome erklärte, absolut gerechtfertigt erscheinen. Und da ich nicht mehr leistungsfähig war, wurde ich auf dieser Basis für zwei Jahre verrentet.


Immer wenn ich ein wenig aufgepäppelt worden war, schlüpfte ich bereitwillig in eine neue Rüstung. Wenn man als Frau nicht arbeitet und daheim ist, kümmert man sich eben um den Haushalt und das Wohl des Partners. Dass ich nicht arbeiten konnte war für mich schrecklich. Ich machte mich immer wieder nieder und beschimpfte mich. Dies wurde nach und nach zu einem hervorragenden Antreiber, um erneut Leistung über meine Grenzen hinaus zu erbringen. Ich riss jede noch so kleine Aufgabe an mich und als dann auch noch erste Erfolge in der Kunst zu vermelden waren, ging es auch mit meinem Selbstwert wieder etwas aufwärts.


Wo es hoch geht, geht’s aber halt auch wieder runter. Es folgte nach kurzer Zeit der Überforderung der endgültige Zusammenbruch. In dessen Folge wurde dann endlich festgestellt, dass gar nicht die Psyche allein schuld war, sondern ich an CFS leide. Theoretisch eine Erleichterung, doch praktisch ein völliger KO-Schlag. KO im wahrsten Sinn des Wortes, denn Leistung gibt es bei CFS so gut wie gar nicht mehr.


Ich kann nicht arbeiten, nicht den Haushalt führen, Kunst ist nur noch in Minidosierungen möglich, zwischenmenschliche Kommunikation (Reden, Zuhören, Schreiben) oft unmöglich, Körperpflege eine tägliche Herausforderung, Autofahren geht nicht mehr und vor die Tür schaffe ich es nur noch ganz selten. Alles in allem bin ich mit nur 42 Jahren eine hilfs- und pflegebedürftige Frau. Was das mit Selbstwert macht, der auf der Basis von Leistung aufgebaut ist, ist klar: Er verschwindet…


Das ist der Stand der Dinge an Tagen, an denen ich es nicht schaffe, einen Schritt zurück zu treten und mich und die Situation nüchtern und von außen zu betrachten. Wenn mir das gelingt, weiß ich, dass ich mehr bin als das Häufchen Elend das man versorgen und pflegen muss, aber dazu braucht es Energie und das ist etwas, das ich zumindest zurzeit nur sehr selten habe… Im Moment heißt es meistens: „Ich kann nichts mehr, ich bin nichts mehr, ich bin nur noch eine Belastung und eine Zumutung. Bin eine schlechte Ehefrau, eine fürchterliche Katzenmama, unbrauchbare Freundin und peinliche Tochter. Selbstwert verzweifelt gesucht.

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